
Künstliche Intelligenz verändert unsere Arbeitswelt rasant – und mit ihr die Anforderungen an Führung. Es geht nicht mehr nur darum, Entscheidungen schneller zu treffen oder Prozesse effizienter zu gestalten. KI fordert uns heraus, unsere Rolle als Führungskraft neu zu denken: als Navigator:in im Unbekannten, als Kontextgeber:in und als menschliches Korrektiv technologischer Systeme. In diesem Interview sprechen wir mit Dennis Preiter über persönliche Erfahrungen mit KI, Chancen und Grenzen im Projekt- und Change-Management – und warum echte Führung gerade jetzt relevanter ist denn je.
Interview mit Dennis Preiter
Wir starten mit Deinem persönlichen Bezug zu KI: Warum hast Du begonnen Dich mit KI zu beschäftigen? Welche Erfahrungen hast Du gemacht?
Mein Zugang zur KI war ursprünglich von Neugier geprägt und der Frage, wie Technologie unsere Arbeit sinnvoll unterstützen kann.
Anfangs faszinierte mich vor allem der kreative Aspekt: zum Beispiel, wie Midjourney abstrakte Begriffe visuell interpretiert. Diese Auseinandersetzung war spielerisch, aber auch tiefgehend. Richtig ernst wurde es während meiner Coaching-Ausbildung. Damals stellte ich mir erstmals ganz konkret die Frage: Wie lange kann ich diesen Beruf eigentlich noch ausüben, bevor KI bestimmte Anteile davon übernimmt?
Diese Frage war unbequem – und genau deshalb so wichtig. Sie hat mich ein halbes Jahr in ein Startup geführt, das KI-gestütztes Kurzzeitcoaching entwickelt hat. Ziel war es, Menschen in Change-Prozessen Schritt für Schritt zu begleiten. Das war mein Deep Dive und der Moment, in dem mir klar wurde: KI wird uns nicht ersetzen. Aber sie wird uns neu definieren. Dieses persönliche Aha-Erlebnis war kein Einzelfall. Viele Unternehmen stehen gerade an einem ähnlichen Punkt: laut der Studie „Superagency in the Workplace“ von McKinsey and Company planen 92 % der Unternehmen, in den nächsten drei Jahren mehr in KI zu investieren – aber nur 1 % halten ihre bisherigen Investitionen für ausgereift.
Heute arbeite ich an der Schnittstelle von Mensch, Maschine und Bedeutung.
Ich sehe KI als Denkpartner – nicht als Gegner. In meinen Projekten nutzen wir KI, um Führungskräften zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei geht’s nie um Technik um der Technik willen, sondern darum, wie wir als Menschen mit dieser Technologie wachsen können.
Was mir dabei besonders wichtig ist: Ich mache keine Prognosen im klassischen Sinne – dafür verändert sich die KI-Welt aktuell viel zu schnell. Jede Woche entstehen neue Tools, Perspektiven, Risiken. Deshalb versuche ich, die Flughöhe bewusst etwas höher zu halten. Ein Beispiel für diese Ambivalenz: Large Language Models haben dieses Jahr erstmals den Turing-Test bestanden (Cameron R. Jones, Benjamin K. Bergen: Large Language Models Pass the Turing Test) – also den klassischen Maßstab, ob eine Maschine in einem Gespräch nicht mehr von einem Menschen zu unterscheiden ist. Gleichzeitig scheitert GPT daran, ein Schachspiel gegen einen 8-Bit-Atari aus dem Jahr 1977 zu gewinnen – und versucht dabei sogar, die Spielregeln zu ändern (Robert Jr. Caruso, Juni 2025). Wer KI verstehen will, muss mit Widersprüchen umgehen können.
Was mich interessiert, sind die psychosozialen Implikationen: Wie verändert KI unser Selbstverständnis, unser Miteinander, unsere Art zu führen? Welche Verantwortung haben wir als Menschen, als Organisationen – nicht nur beim Einsatz von KI, sondern bei ihrer aktiven Gestaltung?
Denn klar ist: Wir stehen nicht daneben und beobachten, was KI mit uns macht.
Wir entscheiden, was wir mit KI machen.
Und ich sage das mit Demut: Auch ich kann mich irren. Aber genau deshalb müssen wir das Thema offen, ehrlich und tief verhandeln – nicht nur technologisch, sondern menschlich.
Womit beschäftigst Du dich derzeit? Wie ergänzt oder transformiert KI in den nächsten Jahren unsere Arbeitsweise?
KI wird Beratung und Trainings nicht ersetzen, sondern grundlegend verändern.
Routineaufgaben und klassische Analysen werden zunehmend automatisiert. Muster, Datenpunkte und Unstimmigkeiten erkennt die KI oft schneller als der Mensch. Und gleichzeitig hat sie kein echtes Verständnis davon. Gerade deshalb wird eines umso wichtiger: gute Führung. Denn KI entlarvt schwache Kommunikation, schlechte Prozesse und unklare Rollen – und bestraft sie mit Ineffizienz. Führung wird zum entscheidenden Hebel, damit Technologie überhaupt wirken kann. McKinsey hat bereits 2018 festgestellt: 80 % der Unternehmensleistung hängen von der sozialen Dynamik ab. Und genau diese Dynamik wird durch KI nicht ersetzt – sie wird nur sichtbarer. Wer hier nicht führt, verliert.
Die Beratungswelt der Zukunft ist hybrid.
KI-Coaches und smarte Lernagenten begleiten Führungskräfte kontextsensitiv, 24/7. Sie geben Impulse, strukturieren Gedanken, spiegeln Verhaltensmuster, aber sie gehen nicht in die Tiefe.
Dass das funktioniert, zeigt eine Studie der Harvard Business School bei Procter & Gamble: Teams, die mit KI zusammenarbeiten, erzielen nicht nur die besten Ergebnisse – sie erleben ihre Arbeit auch als deutlich positiver. Besser als Einzelpersonen mit KI. Und besser als Teams ohne KI. Der Schlüssel liegt nicht in der Technik, sondern in der Teamdynamik mit ihr. KI erfasst keine Ambivalenz, stellt keine echten, unbequemen Fragen, sie hält keinen Raum in Unsicherheit, sie konfrontiert nicht liebevoll. Dafür braucht es weiterhin Menschen – gerade wenn es darum geht, echtes Leadership zu entwickeln. Und wir als Leader:innen müssen den Mut entwickeln, diese Tiefe auch zu suchen und zu ergründen – alles andere kostet uns Geld und nachhaltigen Fortschritt.
Was heute noch undenkbar scheint, wird bei next level consulting Realität:
Es wird in die Richtung gehen, KI-Agenten und Interaktion mit dem Team sinnvoll und ethisch zu gestalten. In Zukunft wird es neben den Teammitgliedern auch KI-Teammitglieder geben. Das erfordert neue Rollen, die nicht nur zwischen Mitarbeitenden vermittelt, sondern zwischen Menschen und KI-Systemen. Sie übersetzen Sprache in Wirkung, trainieren Führungskräfte im Prompting und sorgen dafür, dass Algorithmen nicht einfach „laufen“, sondern von Haltung geführt werden. Und wir schaffen Räume, um sinnvolle KI-Usecases zu erforschen – mit dem Menschen als ethische Leitinstanz. Diese Verantwortung können und dürfen wir nicht abgeben. Denn die Frage ist nicht, ob wir KI einsetzen, sondern wie bewusst wir es tun.
Die Zukunft der Beratung ist kein Entweder-oder – sondern ein Sowohl-als-auch.
Und Führung? Wird fluider, aber nicht beliebiger. Menschlicher – aber klarer. Und relevanter denn je.
Wie ändert sich Führung durch KI?
- Von der Entscheidung zur Navigation: Führung wandelt sich – weg von Kontrolle, hin zu Kontext, Haltung und Sinn. KI übernimmt Routine – Menschen geben Richtung.
- Mensch als Deutungshoheit: KI erkennt Muster, aber nicht Bedeutung. Führung heißt: Ambivalenz einordnen, Konflikte verstehen, Kultur gestalten.
- Prompting statt Planen: Die neue Schlüsselkompetenz: kluge Fragen stellen. Wer KI kreativ nutzt, eröffnet disruptive Möglichkeiten.
- Verantwortung bleibt menschlich: KI liefert Optionen, keine Werte. Führung entscheidet, was zählt – und wie Technologie sinnvoll gestaltet wird.
- Radikal menschlich führen: Gute Führung wird nicht ersetzt, sondern neu definiert: mutig, empathisch, klar – und wichtiger denn je.
KI im Projektmanagement
Was erwartet uns im Projektmanagement durch den Einsatz von KI?
KI zwingt uns, Projekterfolg neu zu definieren – weg von Kontrolle, hin zu Wirkung.
Es stellt sich die zentrale Frage: Wenn alles schneller, günstiger und präziser wird, woran messen wir dann eigentlich noch echten Erfolg?
Meine These: Der Fokus verschiebt sich von Output zu Impact. Wenn KI die falschen Projekte effizient macht, ist das gefährlich. Wenn wir die Erfolgskriterien nicht mitentwickeln, laufen wir Gefahr, KI nur als Turbo für veraltete Projektlogik zu nutzen. Die wahre Herausforderung im KI-Zeitalter ist nicht die Umsetzung, sondern die Bewertung. Und die braucht Führung: Wer entscheidet, was Wirkung ist? Wer priorisiert Sinn über Geschwindigkeit?
Im Projektmanagement der Zukunft heißt Erfolg: Sichtbarkeit von Wirkung. Nicht nur Steuerbarkeit von Meilensteinen. Und genau da setzt gute Führung an. Sie fragt nicht nur „Was schaffen wir?, sondern „Warum schaffen wir es?“ und „Was verändert sich dadurch wirklich?“
Wenn KI Risiken präziser vorhersagt und Projekte in Echtzeit steuert, wird dann die menschliche Intuition und Erfahrung im Projektmanagement abgewertet oder neu definiert?
KI ersetzt nicht die Intuition der Projektmanager:innen – sie macht sie sichtbar.
Ja, KI wird Risiken präziser vorhersagen, Entscheidungen auf Datenbasis vorschlagen und Projekte in Echtzeit steuern können. Aber das bedeutet nicht, dass menschliche Intuition und Erfahrung abgewertet werden. Im Gegenteil: Sie werden neu definiert – als strategische Ressource.
Denn KI kann Muster erkennen, aber sie kennt keine politische Lage, keine psychologischen Spannungen im Team, keine kulturellen Codes. Sie bewertet keine Zwischentöne, keine impliziten Erwartungen. Das kann nur ein Mensch, der sich selbst reflektiert, der zuhört, der Haltung zeigt.
Die unersetzbare Stärke der Projektmanager:innen liegt nicht in der Steuerung, sondern in der Navigation.
Navigation heißt: Ambivalenz halten. Prioritäten klären. Menschen mitnehmen, nicht nur Tasks verteilen. Gerade weil KI vieles sichtbar macht, braucht es Führungskräfte, die das Unerklärbare einordnen können: Emotionen, Dynamiken, unausgesprochene Konflikte.
Projektleitung im KI-Zeitalter ist nicht weniger menschlich - sie ist radikal menschlich.
Die Frage ist also nicht: Wird der Mensch ersetzt?
Sondern: Ist der Mensch bereit, sich neu zu positionieren - als Kontextgeber, Deutungspartner und kultureller Navigator?
Wer das kann, wird in Zukunft unverzichtbar sein - nicht trotz KI, sondern gerade wegen ihr.
Kann KI uns zu Projektideen inspirieren, die wir menschlich nicht in Betracht ziehen würden, und uns so in neue, disruptive Projektlandschaften führen?
KI kann unser Denken sprengen – wenn wir bereit sind, Kontrolle loszulassen.
In der klassischen Projektwelt denken wir oft entlang bekannter Muster, Erfahrungswerte oder Machbarkeiten. Doch genau da liegt die Grenze. KI denkt anders. Sie hat keine politischen Altlasten, keine Denkroutinen, keine Angst vor dem Unbekannten. Deshalb kann sie –wenn wir es zulassen - Projektideen hervorbringen, die quer zu allem liegen, was wir bisher gemacht haben. Aber: Die Grenzen der KI sind oft die Grenzen unserer Fragen.
Die besten Impulse kommen nicht von der KI selbst, sondern von der Qualität unserer Prompts. Wenn wir sie nur nach Optimierung fragen, kriegen wir bessere Prozesse. Wenn wir sie fragen: „Was sehen wir nicht?“, „Wo liegt das Potenzial jenseits der Komfortzone?“, dann betreten wir echtes Neuland.
Prompting ist die neue Schlüsselkompetenz für Führungskräfte. Wer in Zukunft innovativ führen will, muss lernen, wie man KI nicht nur bedient, sondern inspiriert. Das heißt: mutige, kontextstarke und manchmal unbequeme Fragen stellen. Und bereit sein, sich von der Antwort überraschen zu lassen.
Effizienz ist der Anfang – Disruption ist das Ziel. KI kann Muster aus fremden Branchen erkennen, hybride Ideen entwickeln und Zukunftsszenarien entwerfen, auf die wir allein nie gekommen wären. Aber sie braucht einen Menschen, der Haltung zeigt, der Kontext liefert und der entscheidet, ob und wie aus einer Idee auch Wirkung wird.
Führung in der KI-Zeit heißt nicht, alles zu wissen, sondern die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen. Und genau darin liegt unsere neue Rolle: Als Möglichkeitsgestalter:innen, als Kontextgeber:innen und als mutige Navigator:innen im Unbekannten.
KI im Prozessmanagement
Welche Entwicklungen erwarten uns im Prozessmanagement durch den Einsatz von KI? Wenn Prozesse selbstoptimierend werden und KI kontinuierlich Anpassungen vornimmt, verlieren wir dann die Kontrolle und das Verständnis über unsere eigenen Abläufe?
Tatsächlich ist das eine der größten Gefahren: Wenn niemand mehr nachvollziehen kann, nach welchen Mustern ein KI-System Entscheidungen trifft, wird Überprüfung fast unmöglich. Prozesse werden intransparent und entziehen sich der Verantwortung.
Deshalb braucht es vor dem Einsatz klare Leitplanken. Wir müssen definieren, welche Aufgaben KI übernehmen darf, welche Entscheidungsräume menschlich bleiben und wie Ergebnisse nachvollziehbar dokumentiert werden. Explainable AI ist dabei keine Option, sondern Pflicht. Und entscheidend: Der Mensch muss die letzte Instanz bleiben.
KI kann analysieren, strukturieren, Empfehlungen geben, aber die Bewertung, Priorisierung und ethische Einordnung müssen beim Menschen bleiben. Führung bedeutet: den Rahmen setzen, Verantwortung übernehmen und bewusst entscheiden. Denn wenn wir die Entscheidung der KI überlassen, geben wir nicht nur Kontrolle ab, sondern auch Verantwortung. Und das ist nicht fortschrittlich, sondern gefährlich.
Können Prozesse durch KI nicht nur effizienter, sondern auch menschlicher werden?
Absolut – wenn wir sie richtig designen. KI kann Prozesse radikal personalisieren: Kundenerlebnisse adaptiv gestalten, individuelle Bedürfnisse erkennen, repetitive Pain Points eliminieren. Und auch intern: Mitarbeiter:innen nicht mehr als Zahnräder im Ablauf, sondern als Menschen mit echten Bedürfnissen betrachten. Wenn KI dabei hilft, repetitive, demotivierende Aufgaben zu automatisieren entsteht Raum für echte Beziehung, Kreativität und Sinn. Effizienz wird zur Empathie-Enablerin.
KI im Change Management
Wie wirkt sich der Einsatz von KI im Change Management aus?
KI kann Widerstand sichtbar machen, aber nicht wirklich verstehen. Wenn wir KI nicht nur als Monitoring-Tool, sondern als Zuhörsystem einsetzen, erkennt sie Tonalitäten, Spannungen, Unsicherheitscluster, lange bevor der Widerstand laut wird. Das eröffnet die Chance auf Personalisierung: gezielte Impulse, Micro-Coachings, passende Begleitung. Widerstand wird nicht mehr übersehen, sondern eingeordnet.
Natürlich: KI versteht nicht im menschlichen Sinne. Aber sie simuliert Empathie – oft so glaubhaft, dass es reicht, um den Effekt von „gehört werden“ auszulösen. Das allein kann entlasten, Vertrauen schaffen und den Weg für echten Dialog öffnen. Dieser Dialog muss dann aber auch geführt werden, die Kernaufgaben im Change werden also weiterhin enorm wichtig bleiben. Die große Chance: Widerstand wird differenzierter wahrnehmbar – und dadurch menschlicher bearbeitbar.
Können wir KI nutzen, um Change-Kommunikation authentischer und menschlicher zu gestalten, anstatt sie zu automatisieren und zu standardisieren?
Ja – wenn wir sie richtig einsetzen. Der Fehler liegt darin, KI zur Automatisierung von Kommunikation zu nutzen. Das führt zu generischen Botschaften, die Vertrauen eher zerstören als aufbauen. Aber richtig gepromptet kann KI helfen, bessere Kommunikation vorzubereiten. Sie kann Sprachmuster analysieren, Reaktionen antizipieren und Kommunikationswege optimieren. Sie ist die Sparringspartnerin für echte Dialoge – nicht der Ersatz.
Führung muss den Ton setzen, nicht die KI. Nur wenn Menschen kommunizieren – mit Klarheit, Haltung und Empathie – kann Vertrauen wachsen. KI kann dabei helfen, den richtigen Zeitpunkt, den passenden Ton und relevante Fragen zu finden. Aber sprechen und verstehen müssen wir selbst.
Könnte man also sagen, dass Führung im Kontext von KI nicht an Bedeutung verliert, sondern im Gegenteil: menschlicher, mutiger und entscheidender wird?
Absolut. KI übernimmt keine Verantwortung, sie liefert nur Optionen. Umso wichtiger wird Führung – nicht als Kontrollinstanz, sondern als sinnstiftender Rahmen. In einer Welt, in der KI ständig optimiert, brauchen wir Menschen, die einordnen, wer wir sein wollen. Echte Führung zeigt sich nicht darin, alles zu wissen, sondern darin, die richtigen Fragen zu stellen – auch unbequeme. Sie schafft Räume für Ambivalenz, Dialog und Entwicklung. KI wird vieles übernehmen. Aber die Haltung, mit der wir entscheiden, bleibt zutiefst menschlich. Und genau deshalb ist gute Führung heute nicht weniger wichtig – sondern essenzieller denn je.
Vielen Dank für das Gespräch!